Sieben Meter beträgt der normale Tidenhub, der die Gezeiten der Nordsee in Londons dunklen Fluss trägt. Doch an einem Januartag 1928 kam zu diesem allbekannten Ansteigen der Fluten noch ein starker Sturm, der die Wassermassen den Flusslauf hinaufschob. Millebank und mit dieser die Tate versanken im Brackwasser. 2018 reinszenierte Julia Fullerton-Batten die Räumung des Museums und eröffnete uns mit ihrer Fotoarbeit eine mögliche Kontextualisierung der historischen Rettungsaktion. Nicht nur die Umweltgeschichte der Künste wird hier berufen, folgten doch auf die unkalkulierbar gewordenen Hochwasser die Errichtung der Thames Barrier, sondern die Frage nach dem Umgang mit dem kunsthistorischen Erbe: Gegen die anbrandende Flut werden die Gemälde in Sicherheit gebracht, die als ‚Meisterwerke‘ längst dem erstarrten Kanon der Kunstgeschichtsschreibung zugehören. Man könnte aber auch behaupten, gegen die ubiquitäre Bilderschwemme würde so eine Kunst über Wasser gehalten, deren Sprache es gerade heute zu übersetzen gilt. Bringen wir die Leinwände also in Sicherheit, oder lassen wir sie nur trocknen, nachdem sich das Wasser zurückgezogen hat? Vom Brackwasser imprägniert, verändern sich die Bilder und damit die Rezeptionsprozesse. „Einflüsse“ zu rekonstruieren oder „Strömungen“ beschreiben zu wollen, denen die Künstler*Innen unterlägen, versucht heute niemand mehr. Es geht in unserer Ekphrasen vielmehr um die lange Geschichte der Aneignung von inhaltlichen wie formalen Vorläufern, um die bewusste Adaption, welche die Produktion wie Rezeption der Künste und ihrer Theorien begleitet. So ist es an uns, Bilder als Ausdruck von komplexen Vernetzungen neu zu interpretieren und in ihnen die Spuren eines fortgesetzten Ideentauschs zu entdecken. Das ist die wunderbare Herausforderung, der wer uns als Team immer erneut stellen dürfen, wohlwissen, dass wir den Artefakten nicht immer intellektuell noch emotional auf Augenhöhe begegnen werden – steht uns das Wasser ja auch erst bis zu den Knien.