„Zeigen Sie Interesse für die zeitgenössische Kunst, es ist Ausdruck der Zeit, in der Sie leben.“

Im Gespräch mit Manfred Großkinsky

 

 

Frage: Was empfehlen Sie uns StudentInnen der Kunstgeschichte? Auf was können wir bereits während des Studiums achten?

 

Antwort Großkinsky: Zeigen Sie während Ihres Studiums bereits Engagement und gesundes Selbstbewusstsein, das wird in jedem Berufszweig gefordert. Erkundigen Sie sich, wo Kunst stattfindet und besuchen Sie diese Einrichtungen. Ich selbst habe während meines Studiums, Museen, Kunstvereine, Bibliotheken und Archive besucht und dort auch immer gleich angefangen Kontakte zu knüpfen, d.h. die dort arbeitenden Leute kennenzulernen. Dies war für mich ein wichtiger Schritt, denn dann kommen diese Personen auch auf Sie zu, wenn mal der Bedarf besteht etwas auszuarbeiten. So wurden bereits während meines Magisterstudiums und erst recht in der Promotionsphase etliche Werkverträge an mich herangetragen. Seien Sie präsent und engagiert. Ich habe auch erst lernen müssen: Auf uns wartet niemand, nicht einmal die FachkollegInnen! Deswegen ist es geboten, dass Sie den KollegInnen zeigen, dass Sie da sind, Interesse haben, sich einbringen wollen und dass Sie bereit sind, sich in jedes Thema einzuarbeiten. Das heißt, Sie können nicht sagen, ich habe nur Lust auf dieses oder auf jenes, sondern Sie müssen bereit sein, sich dem Thema zu stellen, das Ihnen angeboten wird. Flexibilität ist ganz zentral. Dann ist meine Erfahrung auch die gewesen, dass – selbst wenn Sie auf ein Thema stoßen, das Ihnen nicht so zusagt –, in dem Maße, in dem Sie in die Materie einsteigen, sich intensiv beschäftigen, steigt auch Ihre Begeisterung für die Thematik, weil Sie sich in das Ganze selbst miteinbringen.

 

„Ich erwarte von der Kunst, dass sie mich zum Nachdenken anregt.“

 

Frage: Sie sprechen hier aus großer Überzeugung, weil aus eigener Erfahrung. Wie hat sich dies konkret in Ihrem Werdegang dargestellt?

 

Antwort Großkinsky: Ich durfte mich 1978 im Badischen Kunstverein Karlsruhe an der Ausstellung „Druckgraphische Techniken“ beteiligen, in der ich die didaktischen Texte zu den jeweiligen Drucktechniken abfasste. Danach konnte ich mich in eine Ausstellung zur Baugeschichte der Kunsthalle einbringen usw. Dadurch, dass ich mit dieser ersten Ausstellung ein Bein in die Tür der Kunsthalle bekam, erhielt ich plötzlich auch Kontakt zu den RestauratorInnen. Ich wollte unbedingt auch wissen was in einer Restaurierungswerkstatt passiert – was wird da gemacht? Ich konnte dort erstmals Kunst in die Hand nehmen. Das war sehr schön und es ist etwas ganz anderes, wenn Sie einen haptischen Kontakt mit den Kunstwerken haben können, wenn Sie die Rückseite eines Bildes anschauen können. Da sehen Sie, wie es im Rahmen montiert ist, welche Etiketten, Besitz- und Ausstellungsnachweise dort angebracht wurden. Das macht so ein Werk viel interessanter – es geht dann nicht mehr nur darum, was abgebildet ist, sondern es geht auch um die Geschichte des Bildes: von der Entstehung bis zu dem Datum, wo Sie es selbst in die Hand nehmen dürfen. Das ist ein ganz großes Glück – so habe ich es empfunden. Und es hat mir den Weg geebnet, als Student einen Zweijahresvertrag zu bekommen, um in ebendieser Restaurierungswerkstatt zu arbeiten. Ich habe dort Gemälde verglast (zum Schutz vor Säureattentaten, die es in den 1970er Jahren gab). Die manuelle Arbeit mit den Originalen hat mich ungemein fasziniert. Da wusste ich, ich möchte nicht nur die Theorie, sondern ich brauche auch die Praxis. D.h. ich möchte mit Kunstwerken agieren. Damit war klar, es geht in Richtung Ausstellungswesen. Für eine kurze Zeit habe ich auch eine Galerie geführt, habe dort wertvolle Erfahrungen gesammelt, aber der knallharte Kunstmarkt war nichts für mich.

„Das Wort Kritik ist für mich positiv besetzt. Geben Sie sich die Chance kritisiert zu werden! Sie lernen dabei.“

 

Frage: Wie sieht ein gelungenes Bewerbungsschreiben aus und auf was sollte man in einem Bewerbungsgespräch achten?

 

Antwort Großkinsky: Zuallererst muss das Schreiben fehlerfrei und selbstbewusst sein. Wenn Sie eingeladen werden, haben Sie die erste Hürde genommen. Entscheidend ist dann die persönliche Präsentation. Bereiten Sie sich vor. Haben Sie die wichtigsten VertreterInnen der Szene parat und stellen Sie sich die Frage, was im Fach der Kunstgeschichte derzeit passiert. Informieren Sie sich und besuchen Sie die aktuellen Ausstellungen, insbesondere auch vom Haus, für das Sie sich bewerben. Sie müssen wissen, wo Sie sich gerade bewerben. Welche KollegInnen arbeiten dort? Was wird Sie dort erwarten? Sie müssen den KollegInnen den Eindruck vermitteln: „Ich will bei Euch arbeiten!“

 

Frage: Legt man sich mit der Themenwahl der Masterthesis bereits auf eine Richtung, bzw. ein Berufsfeld fest? Oder schätzen Sie es so ein, dass man sich da möglicherweise zu viel Druck macht?

„Wenn Sie bei der Seminararbeit oder Forschung irgendwie nicht weiterkommen – setzen Sie sich mit dem Original (Kunstwerk) auseinander!“

 

Antwort Großkinsky: Ja, es ist schon möglich, sich zu viel Druck aufbauen. Meines Wissens soll eine Masterarbeit zeigen, dass Sie wissenschaftlich arbeiten können. Dieser Nachweis muss erbracht werden. Daher sollte man sich ein Thema aussuchen, das überschaubar ist, in einer gewissen Zeitspanne abgehandelt werden kann, und es soll auch Spaß machen. Man sollte sich dadurch keineswegs für den zukünftigen Weg festlegen wollen. Ganz im Gegenteil! Die Masterarbeit und die Doktorarbeit behandeln im besten Fall nicht die gleiche Thematik und Gattung. Man sollte auch auf diese Weise zeigen, dass man flexibel und bereit ist, sich nochmals ganz woanders einzuarbeiten. Dies ist es nämlich, was Sie in der Berufswelt erwartet: Wenn Sie beispielsweise im Ausstellungswesen tätig sind, dann werden Sie dauernd mit völlig anderen Themen konfrontiert werden. Diese können zeitlich oder thematisch weit auseinander liegen, es können völlig unterschiedliche Gattungen sein. Deswegen sollte man die Festlegung auf irgendetwas so weit wie möglich nach hinten rausschieben. Zum Thema „Festlegung“ möchte ich noch ergänzen, dass junge StudentInnen, die sich in den letzten 20 Jahren bei uns beworben haben, ihr Interesse an der Gegenwartskunst kundtun – und das ist auch gut so. Aber das darf keinen davon abhalten, sich auch mit den alten Meistern auseinanderzusetzen. Denn eines ist ganz klar: die alten Meister können ohne die Moderne, aber die Modernen und Zeitgenossen sind ohne die alten Meister nicht denkbar.

 

Frage: Es fällt auf, dass in Stellenausschreibungen für Volontariate der Doktortitel oft gefordert wird. Inwiefern ist die Promotion für die Bewerbung auf dem Arbeitsmarkt unumgänglich?

 

Anwort Großkinsky: Dass die Situation beweglich ist, kann ich aus eigener Erfahrung sagen, denn ich hatte für zwei Jahre eine Volontärin, die mich dermaßen überzeugt hat, dass ich sie im Anschluss vorsichtig gefragt habe, ob sie sich vorstellen könnte, als feste Mitarbeiterin bei uns zu arbeiten. Ich habe deswegen so vorsichtig gefragt, weil eins damit klar war: Sollte sie diese Stelle mit ihrem Magistertitel annehmen, so würde sie nicht mehr dazu kommen, eine Dissertation zu schreiben. So eine Möglichkeit gibt es also, und wenn Sie mit einem Master ein Volontariat wollen, dann müssen Sie es probieren. Die Chance, damit erfolgreich zu sein, hängt von den Personen ab, auf die Sie stoßen. Mit einer Promotion sind Sie gegenüber den anderen immer einen Schritt voraus, haben auch weitere Phasen des KunsthistorikerInnendaseins durchlebt. Zugleich ist das aber auch eine harte Zeit, in der Sie sich oft als EinzelkämpferIn durch die Täler schleppen müssen: Wenn Sie sich nach einer Doktorarbeit nicht kennengelernt haben, dann werden Sie sich nie kennenlernen!

 

Frage: Konnten Sie selbst in Ihrer Ausübung als Museumsdirektor eine persönliche Entwicklung feststellen? Haben Sie neue Dinge gelernt?

 

Antwort Großkinsky: Auf jeden Fall musste ich auf verschiedenen Ebenen dazulernen. Denn manchmal wird man im Leben so platziert, wie man es zuvor nicht erwartet hat. Dadurch habe ich auch gelernt Dinge anzunehmen, denn ich bin das geworden, was ich nie werden wollte, nämlich Direktor oder Leiter von einer Institution, und zwar dem Museum Giersch (aus privater Stiftung) in Frankfurt am Main. Ich wollte nie meinen MitarbeiterInnen sagen, was sie zu tun haben. Aber ich war froh, das Team nach und nach erweitern zu können. Zum Schluss waren wir zwei Kunsthistorikerinnen und ein Kunsthistoriker, eine Öffentlichkeitsarbeiterin und eine Sekretärin.

Und dennoch: Alles was Sie delegieren müssen, müssen Sie auch kontrollieren und Menschen gehören nun einmal dazu. Dies lag mir nicht. Also musste ich das auch erst lernen. Das hat glücklicherweise ziemlich schnell geklappt, da wir ein kleines Team waren und ich mich als primus inter pares verstehen konnte. Selbst bei kleinsten Entscheidungen involvierte ich mein Team. Freilich musste ich die Entscheidungen letztendlich selbst treffen und auch meinen Kopf dafür hinhalten. Unabhängig, wie gut das Team funktioniert, als Führungsperson sind Sie immer ein wenig allein, weil der Rest der Gruppe sich auf Sie verlässt.

Ich habe aber auch als Kunsthistoriker dazugelernt, weil ich mich natürlich Themen widmen konnte, die ich so vorher noch nie bearbeitet habe und somit auch neue Interessen entwickelte, wie beispielsweise für den Expressionismus. Das Konzept des Museums, auf das ich mich mit dem Arbeitgeber geeinigt habe, war so breit aufgestellt, dass ich mich inhaltlich austoben konnte. Ich konnte mich Themen widmen, die mir bereits zu Studienzeiten aufgefallen waren und die ich bearbeiten wollte. So konnte ich vielfältige bunte Ausstellungen machen. Egal, wie stressig das Ganze war (Ausstellungseröffnung bedeutet, am nächsten Tag geht es mit der nächsten Konzeption weiter), es war letztendlich immer eine Bereicherung für mich.

 

Frage: Als Sie das Angebot aus Frankfurt, ein Museum zu leiten, erreichte, waren Sie noch als Galerist tätig. Wie gestaltete sich die Anfangszeit für Sie? Hatten Sie genügend personelle Unterstützung?

 

Antwort Großkinsky: Zunächst musste ich dem Stifter darlegen, was alles erforderlich ist, wenn man ein Museum betreibt, was man alles anbieten muss. Ich war im ersten halben Jahr ganz alleine, dann hatte ich eine Studentin als Assistentin, und nach einem Dreivierteljahr kam eine Kollegin, eine Kunsthistorikerin, dazu. Wir haben uns die ersten paar Jahre zu zweit durchgeschlagen. Dies war schwierig, denn für eine Ausstellungsvorbereitung hatten wir nie mehr als ein halbes Jahr Zeit und wir haben zu jeder Ausstellung einen Katalog gemacht – allein diesen wissenschaftlich zu erarbeiten war schon eine Herausforderung. Dazu muss man wissen, dass wir ein Ausstellungshaus waren – also im strengen Sinne kein Museum mit eigener Sammlung – denn wir haben nur Ausstellungen mit Leihgaben gemacht. Das heißt, wir mussten für jede Ausstellung zwischen 120 und 150 Werke zusammentragen. Egal woher, aber sie mussten irgendwo herkommen. Dies ist im Laufe der Zeit immer schwieriger geworden, weil viele Museen inzwischen die Vorgabe haben, dass Sie mindestens ein Jahr vor Ausstellungseröffnung Ihre Leihanfrage einreichen müssen. Da hatten wir teilweise mit der Konzeption noch gar nicht angefangen!

 

Frage: Inwieweit hat sich das Berufsfeld Ihrer Meinung nach noch weiterentwickelt?

 

Antwort Großkinsky: Leider wird der eigentliche Schatz eines Museums, das bedeutet die Sammlung, nicht mehr gebührend wahrgenommen. Ein Museum zeugt heutzutage von Wechselausstellungen mit Leihgaben. BesucherInnen kommen meist nur noch, wenn ein Museum laufend Wechselausstellungen bietet. Die Museen kommen dadurch in eine schwierige Situation, denn sie müssen ihr Haus darauf ausrichten, dass nicht mehr ihre Sammlung im Vordergrund steht, sondern die Kunstwerke, die von extern kommen und sich nur temporär im Museum befinden. Dies ist ein Prozess des Auslaugens.

 

Frage: Wie begegnet man der von Ihnen beschriebenen Situation, dass das Publikum nach immer wechselnden Sonderausstellungen dürstet, sodass die eigene Sammlung ins Hintertreffen gerät? Würde es nicht auch reichen, die eigene Sammlung immer in neuen Kontexten zu verorten? Diese könnte man ja tatsächlich thematisch stets neu rahmen – oder würden Sie sagen, dass dies das Publikum nicht zufriedenstellt?

 

Antwort Großkinsky: Es kommt immer darauf an, in welcher Liga man spielt. Wenn Sie in der „Oberliga“ spielen wollen, wird es nicht ausreichen. Was Sie andeuten, ist ein Format, das viele Häuser unter dem Label „Kabinettausstellung“ führen. Eine Variante davon ist, ein Werk herauszugreifen und darum herum eine kleine Ausstellung zu konzipieren. Wenn es eine größere Ausstellung wird, sind Sie gleich bei Leihgaben. Dabei ist freilich von Vorteil, wenn ein Haus auf ein großes Depot zurückgreifen kann. So kann man immer wieder Werke ans Licht bringen, zum Beispiel solche, die jahrzehntelang nicht oder teilweise noch nie gezeigt wurden. Damit erreichen Sie allerdings nicht die breite Masse. Wenn man diese erreichen möchte, muss man eine große Anzahl an Ausstellungen konzipieren und diese mit hochkarätigen Leihgaben bestücken. Die damit verbundenen Kosten stellen hierbei ein Problem dar. Um diese zu tragen, muss das Haus einen hohen Eintrittspreis fordern. Ich würde sagen, der Gedanke der Kabinettausstellung und der der wechselnden Objekte aus dem eigenen Haus sollte unbedingt verfolgt werden.

 

Frage: Gab es Momente, in denen Sie an Ihrem Berufsfeld gezweifelt haben?

 

Großkinsky: Man zweifelt immer wieder, aber diese Selbstzweifel gehören zu den Wissenschaften nun mal dazu. Es geht immer weiter, glauben Sie an sich.


Das Gespräch führten Studierende des Seminars "Oral Contemporaries" am 4. Mai 2020

Vita

 

  • Dr. Manfred Großkinsky (geb. 1954) absolvierte von 1974-1980 das Studium der Kunstgeschichte und der Neuen und Neusten Geschichte an der Universität Karlsruhe sowie in den Jahren 1981-1989 das Studium der Klassischen Archäologie an der Universität Heidelberg. In den Jahren 1989 bis 1991 erhielt er ein Promotionsstipendium der Landesgraduiertenförderung in Baden-Württemberg. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter war er am Kulturinstitut Mathildenhöhe in Darmstadt von 1990-1992 und im Badischen Landesmuseum von 1993-1995 tätig. Es folgen drei Jahre als Geschäftsführer der „Galerie Großkinsky und Brümmer“ in Karlsruhe (1996-1999). Die Leitung des Museum Giersch in Frankfurt übernimmt er für stolze 20 Jahre, nämlich von 1999 bis 2019. Seit 2020 befindet sich Herr Großkinsky im Ruhestand.

 

 

 Berufsfeld: Museumsleitung

 

  • Konzeption der strategischen Ausrichtung des Hauses (z.B. das Leitbild, Themen für Projekte und Ausstellungen)
  • Repräsentation des Hauses in der Öffentlichkeit
  • Personalführung, Betreuung und Förderung der MitarbeiterInnen
  • Finanzielle Gesamtverantwortung
  • Kontaktpflege (z.B. zu LeihgeberInnen, SponsorInnen und FördererInnen)
  • Beaufsichtigung der Einhaltung der ethischen Richtlinien für Museen (von ICOM)
  • Zusammenstellung und Veröffentlichung von Jahresberichten