Jean Tinguely in der Schweiz und in Frankreich

25. April - 3. Mai 2019

Die Exkursion wandelt auf den Spuren von Jean Tinguely, sowie Niki de Saint Phalle und Bernhard Luginbühl. Dafür werden Arbeiten in Museen und im öffentlichen Raum  aufgesucht. Stationen der neuntägigen Exkursion sind Basel, Zürich, Chur, Fribourg, Milly-la-Forêt und Paris.

Sommersemester 2019

Leitung: Prof. Dr. Inge Hinterwaldner und Dr. Barbara Filser

Teilnehmer*innen: Mireille Bart, Saskia Baude, Roberta Cebataviciute, Madeleine Krummel, Anne Küpfer, Samantha McLean, Kateryna Partem, Melvin Pietschmann, Carina Proß, Leonie Ullmann, Johanna Weinert
 

25. 26. 27. 28. 29. 30. 1. 2. 3.

 

25. April 2019

Jean-Marc Gaillard erklärt den Herstellungsprozess und die Herkunft der Einzelteile der Arbeit "Méta-Harmonie II"

Die Exkursion begann am Donnerstag 25. April 2019 mit einem Treffpunkt um 9.30 Uhr in der Eingangshalle des Hauptbahnhofs Karlsruhe. Nachdem alle pünktlich angekommen waren und sich mit Proviant noch versorgt hatten, nahmen wir den ICE 275 nach Basel Badischem Bahnhof. Dort rollten alle ihre Koffer die zehn Minuten zum Museum Tinguely und kamen um die Mittagszeit an. Wir hatten uns als Gruppe angemeldet und durften unser Gepäck wegen Umbauarbeiten bei den Schließfächern des Museums in einem Hinterstübchen deponieren. Der Direktor des Museums, Roland Wetzel, begrüßte uns, stellte kurz die Genese und Ausrichtung des Ausstellungshauses vor und beantwortete unsere ersten Fragen.

Im Vorfeld hatten er und die Kuratorin Annja Müller-Alsbach uns einen Vorschlag für den Ablaufplan geschickt, der berücksichtigte, welche der Arbeiten derzeit effektiv zu sehen sind und bei welchen Themen es möglich ist, über ausgewählte Originalarbeiten auf Papier und einem Modell noch zusätzliche Einblicke zu geben. Nach dieser Begrüßung schwirrten alle aus, um "ihre" Werke zu lokalisieren.

Den Auftakt machte Anne Küpfer mit ihrem Thema "Werkgruppe rund um Formel 1 (1980er Jahre)" am Beispiel von "Pit Stop", einem in mehrfacher Hinsicht außergewöhnlichen Werk, das rotiert und Filmprojektoren mit integriert, die ins Zentrum gerichtet sind und über Spiegel die umliegenden Wände installativ einbeziehen. Diskutiert wurde unter anderem über die Förderung der Arbeit durch einen Automobilhersteller, die Verarbeitung von bunt lackierten Fahrzeugteilen, mit den intakten Firmennamen der Hersteller und Tinguelys Faszination für den Autorennsport. Gleich daneben im 1. UG des Museums Tinguely stellte Mireille Bart mit ihrem Thema "Méta-Harmonie Werkgruppe Jean Tinguelys ab 1979" die "Méta-Harmonie II" (1979) vor. Bei diesem Werkkomplex handelt es sich um große Konfigurationen, die eine Vielzahl von erst nach und nach zu entdeckenden Klangkörpern beinhalten. Die Diskussionen kreisten um manche Details, wie die Farbgebung oder die Rollen am dreigliedrigen rahmenden Gestänge der Arbeit. Sodann schaltete sich der Restaurator und langjährige Mitarbeiter von Jean Tinguely, Jean-Marc Gaillard, ein, der sich unerkannt dazugesellt hatte. Angesichts unserer Spekulationen bedachte er uns mit klärenden Fakten und erfrischenden Geschichten aus dem Leben und Arbeiten mit dem Künstler [Abb. 1].

Die Räder waren einer aufgelassenen Firma abgenommen worden und stellten Gussformen dar, welche eine Farbcodierung hatten. Dies wurde unverändert übernommen. Die dreigliedrige Aufteilung der Arbeit mit den Rollen war bereits ein Hinweis auf eine Ausstellungspragmatik. Die Größe der einzelnen drei Teile bemaß sich genau nach dem Volumen eines Transporters und die Rädchen dienten in der Tat der Mobilität, die Klangskulptur fortzubewegen. Tinguely neigte zu unschönen Schweißnähten und verlangte dies auch von den Mitarbeiter*innen ab, und manchmal montierte er einfach auch Werkzeug, das gerade bei der Hand war. Heimlich taten ihm dies die Mitarbeiter*innen gleich, quasi als persönliche Markierung. Generell aber war der Meister der unangefochtene Chef aller gemeinsamen arbeitsintensiven und geselligen Unternehmungen.

Zum gleichen Themenkomplex gehört die "Grosse Méta-Maxi-Maxi-Utopia Méta-Harmonie" (1987), die im Erdgeschoss ausgestellt und für alle begehbar ist. Hier gesellt sich ein Pferd von einem Karussell zu einem Theatervorhang, der den Blick auf eine Puppe freigibt. Enthüllt wird auch ein Souvenirbild, das eine kitschige Ansicht von Venedig zeigt. Andernorts taucht ein riesiger Gartenzwerg kopfüber in ein Gefäß. Plastikblumen krönen den Ausblick auf das darunterliegende unübersichtliche Räderwerk. Die Arbeit verkörpert das Diktum des Zufalls, es ist eine organisierte Disharmonie, welche viele Überraschungen bereithält.

Just neben dieser monumentalen Skulptur führte Kateryna Partem in die Werkgruppe der "Méta-matic" bzw. Zeichenmaschinen (ab 1959) ein.

Insgesamt waren mehrere dieser Zeichenmaschinen im Museum ausgestellt, die "Méta-Matic No. 10" gleich zweimal: einmal aufgesockelt und hinter Glas, vor den Zugriffen des Publikums geschützt, und einmal als späte Kopie, die der Künstler selbst dezidiert für den Gebrauch angefertigt hat. Für drei Franken kann man sich an der Theke ein großes Blatt weißen Papiers und eine Spielmarke abholen, einwerfen und das Bild in Kooperation mit der Maschine erstellen. Dabei befestigt man das Blatt Papier auf eine vertikale feste Unterlage, klemmt einen Filzstift in die vorgesehene Halterung und veranlasst die Zeichenmaschine durch das Bedienen eines Pedals zu wilden Aktivitäten. Herr Gaillard gab uns Tipps, wie man sie bedienen kann, damit die Maschine auf dem Blatt Papier weiter ausholt. Mit der großzügigen Unterstützung von Herrn Gaillard durften sich alle daran probieren und erstellten auch ein Blatt für das Institut.

Es war sodann bereits 18 Uhr, das Museum begann mit der Schließung. Wir wurden noch reich mit Büchern zu Jean Tinguely beschenkt und holten die Koffer aus dem Abstellbereich. Nachdem die Wetterprognosen für die folgenden Tage nicht so rosig waren, beschlossen wir den schönen Abend noch zu nutzen, um die Arbeiten im Museumspark zu besprechen, die eigentlich für den folgenden Tag vorgesehen waren. Leonie Ullmann stellte die Schwimmwasserplastik direkt vor dem Museum vor. Sie zeichnet sich durch eine schwarze Farbgebung und ein Ensemble an verschiedenen Techniken aus, wie Wasser in die Umgebung verspritzt oder versprüht werden kann. Mit ein paar Schritten über den Rasen erreicht man eine Nana von Niki de Saint Phalle. Johanna Weinert stellte die Künstlerin mit ihrem Werdegang und ihrem künstlerischen Oeuvre vor. Die markanten Merkmale ihrer Skulptur "Gwendolyn" (1966) wurden erörtert. Noch etwas weiter befand sich eine große Eisenskulptur "Dickfigur Beteigeuze" (1996) von Bernhard Luginbühl, die Madeleine Krummel kurz vorstellte. Motive von Hafen und Schiff wurden hier zu einem festgefügten Konstrukt verbunden. Während eine große Metallkugel zugleich schwer und leicht wirkt, funktioniert hier die Bewegungsmöglichkeit der Plastik deutlich anders als bei Jean Tinguely, denn die Ketten und Anker wirken verkeilt.

Nach diesem dichten Nachmittagsprogramm rollten wir mit den Koffern zur Jugendherberge am St. Alban-Kirchrain 10. Am Abend war noch Zeit durch die Innenstadt von Basel zu schlendern. 

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26. April 2019

Am 26. April 2019 begannen wir den Tag abermals im Museum Tinguely. Wir erhielten um 8.30 Uhr einen exklusiven Zugang zur Restaurierungswerkstatt des Museums, wo uns die Restauratorin Olivia Mooser und ihre Kollegin Chantal Willi empfingen [Abb. 2]. Sie legten uns freundlicherweise die Blätter aus dem Archiv auf den Tisch, sodass wir die Originale aus der Nähe besehen und besprechen konnten. Auch standen sie für allerlei Fragen zur Verfügung. Saskia Baude betreute das Thema "Hommagen/Philosophen und Künstler*innen (ab 1988)" und stellte das Blatt zu "Heraklit", sowie die Arbeit "Fontaine Stravinsky – Cher Igor, Bonjour!" vor (das auch von Johanna Weinert und Madeleine Krummel gewünscht war). Dieser Brunnen neben dem Centre Pompidou stellte das abschließende Ziel der Exkursion dar. Das Blatt zeigt die vielen einzelnen Objekte im Brunnenbecken und verdeutlicht die unterschiedliche Handschrift der beiden Kunstschaffenden. Ein weiteres gemeinsames Projekt, bei dem jedoch Saint Phalle die gestalterische Seite übernahm, und Tinguely mehr assistierte, war die im Moderna Museet in Stockholm ausgestellte, raumfüllende, begehbare Plastik "HON", von der das Museum Tinguely eine Konstruktionszeichnung aus dem Jahre 1966 besitzt. Hier diskutierten wir die verschiedenen Informationen auf der Zeichnung, die Differenz von Innen- und Außengestaltung, was sich zur Besucher*innenführung sagen lässt, inwiefern es sich hier um Bemaßungen handelt etc. Vom Materialbestand her komplexer gestaltet sich die Zeichnung "Dino?" (ca. 1968) von Tinguely und Saint Phalle. Mit Kugelschreiber und Filzstift erstellt und in mehreren Lagen übereinander geklebt, teilt ein vertikaler Strich die Darstellung fast im goldenen Schnitt. Wir diskutierten, warum manche der Kleckse umrahmt und damit extra betont wurden und andere nicht. Carina Proß führte ins Thema der Fasnacht und Tinguelys Engagement für die Clique Kuttlebutzer ein. Hierzu konnten wir zwei Blätter mit dem Titel "Basler Fasnacht – Larve" (1976) analysieren. Daran lässt sich prototypisch ein Entwurfsprozess festmachen, bei dem manche Parameter bereits "gesetzt" sind, wie die Kalotte samt Gesichtsform, andere aber durchpermutiert werden, wie z.B. Augen, Nase und Mund, oder Haarschmuck.

Melvin Pietschmann stellte das Modell zu "Le Cyclop" vor, den wir später, als vorletzten Programmpunkt in der Exkursion noch besuchen wollten. Die Restauratorinnen hatten dieses filigrane Objekt extra für uns aus der Kiste geholt, in der es normalerweise aufbewahrt und transportiert wird. Das Modell zeichnet sich durch manche figürliche Elemente an der Fassade aus und weist dahinter einen möglichst flexiblen Wald an Gerüsten auf. Wir diskutierten die verschiedenen Verankerungen und was diese wohl bedeuten mögen. Zu diesem Thema passte auch die Papierarbeit "'Le Krokrodrom' de Zig et Puce" (1977), bei dem sich gestalterische und technische Zeichentechniken mischen. Von Beteiligten hatten wir gehört, dass Tinguely immer gerne eine Skizze hinwarf, auf Servietten oder sonstigem bemalbaren Untergrund, und dass es durchaus sein konnte, dass er später wieder darauf zurückkam und weiterskizzierte. Auch hier zeugen verschiedene Kugelschreiber von unterschiedlichen Instanzen der Bearbeitung.

Auf die Frage, wie man solche Objekte aus unterschiedlichsten, oft feinen und vergänglichen Materialien restauriert, antwortete die Restauratorin, dass hier oft auch Forschung und Probieren im Spiel sind.  Beispielsweise bei einer bemalten Pappmaché-Arbeit von Niki de Saint Phalle müsse man erst sehen, wie hier effektiv vorgegangen werden kann, damit diese wieder ausgestellt werden kann. Das Personal lud uns freundlicherweise im Gang ihres Arbeitsbereiches zu Kaffee, Gipfeli und Basler Leckerli ein. Gestärkt und neu fokussiert, trafen wir zu Mittag abermals Roland Wetzel und Jean-Marc Gaillard, der uns das Ersatzteillager offenbarte. Er kauft regelmäßig alte Motoren und Teile nach, die auf eBay und anderen Plattformen preisgeboten werden. Die "Méta-Matic No. 10" muss auch regelmäßig erneuert werden, weswegen die alten, kaputten Teile im Lager verwahrt werden. Nach einem kurzen Aufenthalt im Café des Hauses verbrachten wir den Nachmittag abermals in den Ausstellungsräumen.

Saskia Baude referierte ihr Thema zu den Hommagen im ersten Obergeschoss im Raum, der die Genese von Reliefarbeiten zeigt: Das Spektrum reicht von sehr filigranen Gestängen, bei denen der Motor offensichtlich bleibt und bei denen das Schattenspiel an der Wand zudem reizvoll hervortritt, bis hin zu eingefassten Rechtecken mit einer 'Bildfläche', welche die dahinterliegende Mechanik vor den neugierigen Blicken versteckt und nur die Bewegung der ausgeschnittenen Formen kontrastierend hervortreten lässt. Wir beobachteten genau, ob und wie die rotierenden Formen vor dem Grund über den Rand hinausragen oder nicht. Eines dieser Werke war Kazimir Malevich gewidmet und griff dessen Formenrepertoire auf, ein anderes verwies auf Wassily Kandinsky. "Méta-Kandinsky I" (1956) ist ein kinetisches Wandrelief mit bunten geometrischen Formen, die sich drehen, sich manchmal überdecken und wieder freigeben, somit abstrakt organisch wirken.

Ein Stockwerk höher konnte Leonie Ullmann vor diversen Projektionsleinwänden die Werkgruppe selbstzerstörender Maschinen (1960-1962) vorstellen. Zu "Hommage in New York" und "End of the World No. 2" gab es Videofootage, sowie mit "Klaxon" ein übrig gebliebenes Relikt der Aktion im MoMA in New York. Auf diesem Feld hatte Tinguely zeitgleich mit Gustav Metzger Neuland betreten. Wie an einigen anderen Stellen im Museum auch, gab es dabei für die Vortragende erhebliche akustische Konkurrenz durch die umliegenden Arbeiten, die von Besucher*innen geräuschvoll in Betrieb gesetzt wurden. Als besonders durchdringend erwies sich der Klang einer Sirene, der zur großen Freude besonders von Kindern ertönte, sobald man die Tür des "Frigo Duchamp" öffnete.

Samantha McLean präsentierte im 2. OG die Werkgruppe schwarzer Monumentalwerke, die Tinguely ab 1963 erstellte. Gleich ein gesamter Raum war vor Ort von diesen teils interaktiv aktivierbaren Plastiken versammelt. In Abbildung 21 agiert die sich in einem trägen Hin- und Herbewegen gefangene große Arbeit "Hannibal II" (1967), die je nach Interpretationsansatz als Kriegsmaschine oder als erotischer Vorgang gedeutet wird. Andere Werke lassen eine Spiralform kreisen (eine ähnliche Arbeit hatten wir beim Anmarsch schon am Dach des Museums entdeckt). "Matrac Bascule" (1966) legt wie die übrigen "Bascules" mit einem fragilen Gleichgewicht eine Wippbewegung an den Tag. Anders als bei vielen seiner Arbeiten, die das Eklektizistische und Heterogene durchaus betonen, bewirkt  die einheitliche Einfärbung eine Tilgung dieser verschiedenen Ursprünge der Einzelteile. Insgesamt unterstreicht diese Werkgruppe einen Maschinencharakter und verweist auf die Schwerindustrie des 19. Jahrhunderts, die auch mit ihren massiven Sockeln explizit verankert scheinen. Freilich verrichten diese Maschinen keine nützliche Arbeit, sondern produzieren  am ehesten ein Augenzwinkern.

Roberta Cebataviciutes Referat führte uns in den dunklen Raum des "Mengele Totentanzes" (1986). Diese mehrfigurige, düstere Arbeit mit ihrem thematischen Tiefgang sowohl was den Zufallsfund der einzelnen Relikte aus einem abgebrannten Bauernhof anbelangt als auch mit dem Verweis auf die Kriegsverbrechen des Arztes Josef Mengele, hinterließ einen tiefen Eindruck. Vor allem der echte Menschenschädel, der mit den Tierschädeln in einer fließbandartigen Industriekonstruktion eingebunden ist, regte Diskussionen und Nachdenken an. Dieser Raum fühlte sich deutlich anders an, als die Anmutung, die übliche "white cubes" im Museum vermitteln. Wie in einer schwach belichteten Kapelle schritt man geradeaus nach vorne und sieht sich einem altarartigen Gebilde gegenüber. Das Unheimliche steigert sich in dem Moment, als plötzlich das Knarren, Scharren und Kettenrasseln beginnt, die Lichter flackern und die Ministranden ihr Geschäft verrichten.

Im Raum vor dem "Mengele Totentanz" zeigte das Museum noch eine temporäre Ausstellung von Lois Weinberger, "Debris Field" (2010-2016), bei der es ebenso um Fundstücke rund um einen Bauernhof ging und eine Sammellogik von Belanglosem und Schaurigem zugleich.

Damit beschloss die Gruppe ihren Aufenthalt im Museum. Für den Abend war ein gemeinsames Essen im traditionellen Restaurant Kunsthalle, Steinenberg 7, anberaumt. Hierfür brachen wir gemeinsam von der Jugendherberge auf, schlenderten am Kunstmuseum vorbei und kamen schließlich ans Ziel. Als deutlich wurde, dass wir uns hier direkt vor dem Fasnachtsbrunnen auf dem Theatervorplatz befanden, schlug die Gruppe vor, diesen Punkt, der für den nächsten Tag vorgesehen gewesen war, vorzuziehen und in einer Spontanaktion zu diskutieren. Frau Proß und Frau Ullmann waren hierzu bereit.  Die Aufmerksamkeit wurde streckenweise von zwei hoffnungsfrohen Enten absorbiert. Am Abendtisch kamen alle möglichen Themen zur Sprache.

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Die Restauratorinnen Olivia Mooser und Chantal Willi erläuterten ihre Arbeit und legten uns grafische Arbeiten vor, die derzeit nicht ausgestellt waren.

27. April 2019

Die Gruppe erarbeitet sich die Geschichte des Basler Totentanzes im Historischen Museum in der ehemaligen Barfüsserkirche in Basel.

Tags darauf, am Samstag 27. April, wurde nach dem Frühstück in der umgebauten Gewölbehalle der Jugendherberge ausgecheckt. Das erste Ziel war daraufhin, mit den Koffern zum Schweizerischen Bahnhof SBB zu gelangen, um dort das Gepäck in Schließfächer abzulegen und um diese Last erleichtert dann den Bus Nr. 50 zum Flughafen in Basel zu nehmen. Dort war die hängende Arbeit "Luminator" im 1. OG der Abflughalle zu besichtigen. Diese raumgreifende Plastik hatte nur wenige Tage zuvor eine Generalsanierung vom Museum Tinguely erhalten, denn die über 400 Glühbirnen gehen mit einer gewissen Regelmäßigkeit kaputt. Die Arbeit fügt sich nahtlos in eine Café-Umgebung, der sie auch als Beleuchtung zu dienen scheint. Nebst anderen, bereits bekannten Elementen waren hier Trophäengeweihe am Holzbrett, wie sie oft in Jägerstuben hängen, zu sehen. Eine Insiderquelle ließ verlauten, dass viele Witwen nicht unglücklich waren, wenn sie die Jagdtrophäen ihrer Männer Tinguely übergeben konnten. Wir erörterten, inwiefern dieses etwas wackelige, fragile Gebilde in einer High-Tech-Umgebung wie dem Flughafen wirkt, ob dieses Flugobjekt Vertrauen erweckt, oder eher in ein paar Details auf so etwas wie ein Gepäcklaufband anspielt – obwohl allen klar ist, dass diese Arbeit für einen anderen Ort entstanden ist. Nach der Diskussion ging es abermals mit dem Bus in die Innenstadt zurück. Bei leichtem Nieselregen schritten wir bei der Elisabethenkirche vorbei, kamen auf den Theaterplatz und betraten die dort stehende Skulptur von Richard Serra nur zögerlich. Gleich nebenan befand sich mit der Barfüsserkirche und dem darin befindlichen Historischen Museum unser nächstes Ziel [Abb. 3]. Mit einer Publikation des Museums ausgerüstet, erarbeiteten wir uns gemeinsam historische und kulturelle Informationen zum Basler Totentanz, der Tinguely bei der Anfertigung seines "Mengele-Totentanzes" natürlich deutlich vor Augen stand. Vom ursprünglichen spätmittelalterlichen Fresko an der 60 Meter langen Mauer des Laienfriedhofs des Predigerklosters erhielten sich nur ein paar Fragmente, vor allem der Köpfe der Standespersonen. Aufgrund eines dokumentarischen Aquarells gelingt es, sich einen vollständigeren Eindruck davon zu rekonstruieren. Im Museum gab es zudem noch kleine Modellfigürchen, d.h. Terrakotta-Abbilder des Totentanzes aus dem Jahr 1822, gefertigt von Anton Sohn (1769-1840) nach Motiven von Merian-Stichen (1744/89). Wir erörterten Gemeinsamkeiten der Verhältnisse des Todes zu den Personen, die Reihung, die Sprüche, den Grad der restaurativen Ergänzung, dass sich kein Kind unter den Personen befindet (im Kontrast zu den vielen Kinderschuhen als Andenken an Verstorbene, die Weinbrenner auf seinem Bauernhof gefunden hat).

Danach stand bis zur abendlichen Zugfahrt Zeit zur freien Verfügung. Das Historische Museum selbst bot interessante kirchliche Artefakte, im Kunstmuseum Basel fand eine Ausstellung zum Kubismus statt, geöffnet waren auch die Fondation Beyeler oder das Vitra Design Museum. Geplant war es, den Zug um 20.33 Uhr zu nehmen. Da aber alle überpünktlich vor Ort waren, konnten wir noch den Zug eine Stunde früher erwischen. Um ca. 20.30 Uhr trafen wir am Züricher Hauptbahnhof ein. Nachdem die Tickets für den Stadtverkehr besorgt waren, ging es mit dem Tramzug S24 bis "Wollishofen", dann über eine sehr steile lange Stiege nach oben und ratternd die Straße entlang bis zur Jugendherberge in der Mutschellenstr. 114.

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28. April 2019

In Zürich verbrachten wir nur eine Nacht und trafen uns am Sonntag, 28. April nach dem Frühstück schon wieder mit den gepackten Koffern. Diesmal war das Prozedere der Jugendherbergen schon bekannt. Die Koffer nahmen die meisten wieder mit, um sie in Zürich im Bahnhof einzusperren. Nach einem beträchtlichen Umweg aufgrund eines Aufmerksamkeitsdefizits, erwischten wir den Tramzug in die Innenstadt doch noch, weil er Verspätung hatte. Vom Vortag hatten wir gelernt, dass nicht die ganze Gruppe dieselbe Tür zum Aus- oder Einsteigen nutzen sollte. Am Bahnhof angekommen, richteten sich unsere Blicke nach oben, zu Niki de Saint Phalles elf Meter langer fliegender Nana, dem "Ange protecteur", der seit November 1977 die Reisenden begleitet. Die Funktion von Schutzengeln, Maltechnisches und Restauratorisches kamen zur Sprache sowie auch die Verschränkung von Strom und Fluss. Saint Phalle sah diese Figur im Rahmen der Auseinandersetzung mit dem Tarot Deckblatt als "Temperance".

Wenn man in Richtung der Gleise blickt, erspäht man ebenso erhöht noch die Arbeit "Das philosophische Ei" (1992) von Mario Merz, einem italienischen Künstler der Arte Povera. In seine Arbeit integrierte Merz eine regelbasierte Zahlenfolge, die auf den italienischen Gelehrten Leonardo Pisano Bigollo – Fibonacci genannt – aus dem 12. Jahrhundert zurückgeht. Damit ist die Unendlichkeit der Zahlenfolge angedeutet. Eine rot leuchtende, spiralartige Neonröhre soll die Dynamik des Bahnhofs andeuten, die Tiere, welche zunächst zum Licht hin betrachtet flach erscheinen, entpuppen sich bei näherer Inspektion als vollplastisch und stehen für das Kommen und Gehen aus aller Welt.

Vorbei an interkulturellen Essensständchen – die sofort einleuchten ließen, warum die Plastik von Niki de Saint Phalle auch an Fettablagerungen leidet – bestiegen wir ein Tram, das uns rechts am Züricher See zum Zürichhorn führte, wo frisch renoviert Tinguelys "Heureka" (1964) zu finden ist. Jean-Marc Gaillard hatte uns freundlicherweise den Kontakt vermittelt, der für diesen Park, und damit auch für die gewaltige Metallplastik, zuständig ist. Leider aber verhinderte der an diesem Tag stattfindende Marathonlauf seine Ankunft an Ort und Stelle. Die Aufstellung der Plastik mit freiem Blick auf den See vermittelte uns etwas Wehrhaftes und Kanonenartiges. Wir analysierten hier Röhrenverläufe und erkannten, dass alle Motoren mit einer kleinen Metallfolie überwölbt und somit vor Niederschlag geschützt sind. Der während unserer Besichtigung zum Glück nachlassende Regen ließ außerdem erkennen, dass die obenauf sitzende Schale ein ausgeklügeltes Entwässerungssystem enthält, das in die skulpturale Form integriert ist. Nach einer kleinen Stärkung auf der Parkbank ging es an diesem kalten Sonntag zu Fuß zurück. Dabei nutzten wir die Gelegenheit, auch einen Abstecher in den "Chinagarten" zu unternehmen. Nach einem grottenartigen Durchgang führte der Parcours über Steine ans andere Ufer der minutiös gepflegten Landschaft mit etlichen Pavillons und einem Reiher, der regungslos auf die Koi-Fische starrte. Das Zusammenspiel zwischen Architektur und Garten erlaubte viele malerische Anblicke, und erst eine Recherche vor Ort brachte die Erkenntnis, wie viele kleine Malereien in diesen überdachten Gängen versteckt sind.

Nach diesem Abstecher spazierten wir die Promenade entlang und genehmigten uns in der Nähe des Kunsthauses Zürich – unserem nächsten Ziel – eine kleine Mittagspause zur Stärkung und Aufwärmung. Vor dem Kunsthaus trafen wir Auguste Rodins Höllentor an. Im Gebäude wollten wir die im Internet angekündigte Sonderschau der "Installationskunst" anschauen. Es stellte sich jedoch heraus, dass diese aus den eigenen Beständen bestückt wurde und im Umfang wesentlich kleiner war als erhofft. Wir versuchten uns auf Dennis Oppenheims Land Art einzulassen und diskutierten die Ästhetik, Funktion und die künstlerische Grundoperation in seinen Collagen. Mehr Interesse erweckte das fotorealistische Bild "Franz und Luciano" (1973) von Franz Gertsch. Danach besahen wir uns noch den vermeintlichen Kellereinblick von Peter Fischli & David Weiss, um daran eigene mögliche kuratorische Strategien zu erörtern. Die restliche verbleibende Zeit durften alle nach Laune im oder außerhalb des Museums verbringen [Abb. 4]. Einige hatten noch eine Arbeit von Tinguely – "Kyoto – die Seele des Kimono" (1989) – im Garten des Museums entdeckt, die nicht auf unserer Liste stand und aufgrund der Verwendung des Goldes herausstach.

Der nächste Treffpunkt war abermals der Züricher Hauptbahnhof, der vom Museum aus bequem zu Fuß erreichbar ist. Dort frisch gestärkt nahmen wir um 19.37 Uhr den Zug nach Chur. Die Zugfahrt entlang des Sees bot entspannende Ansichten, während der Blick auf beschneite Bergspitzen die Temperaturverhältnisse in den Alpen vorausahnen ließ. Wir kamen um 20.52 Uhr an und begaben uns direkt in das unweit gelegene Hotel Drei Könige, das sich in einem lauschigen Gässchen in der Innenstadt befand. Der Weg führte uns am Bündner Kunstmuseum vorbei, ein markantes Gebäude des Architekturbüros Estudio Barozzi/Veiga aus Barcelona, das während unseres Aufenthaltes leider die Tore geschlossen hielt, wo wir aber dennoch im Skulpturenpark die bekannte Gestalt eines "Alien" vom gebürtigen Churer Künstler H. R. Giger fanden.

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Gruppenfoto im Kunsthaus Zürich.

29. April 2019

Im Skulpturenpark des Kulturforum Würth in Chur. Die beschneiten Bergspitzen geben einen Hinweis auf die vorgefundenen Temperaturen.

Am Montag, 29. April trafen wir uns um 10 Uhr, um zum Kulturforum Würth zu spazieren, welches einen öffentlich zugänglichen anliegenden Skulpturenpark besitzt. Wir diskutierten ein Metallgebilde von Luginbühl, "Dolittle", das eine Maschine andeutet, aber auch ein tierisches Wesen sein könnte, das eine riesige Kugel balanciert. Nachdem wir weitere Zeit mit der Betrachtung der zweiten Luginbühl-Skulptur des Ensembles, dem hochaufragenden "Bauerndenkmal", verbracht hatten, veranlasste jemand im Gebäude das Einschalten aller kinetischen Elemente der Werke. So rollte nun die schwere Kugel von "Dolittle", der kleine Brunnen "Fontaine pour Joseph Siffert" von Tinguely versprühte sein Wasser in Schlaufen in der Luft und "Le Monde" von Saint Phalle rotierte triumphierend rückwärts und enthüllte somit das Spiel der angebrachten kleinen Spiegelchen am Ei der Skulptur, die von einer bunten Schlange umfangen ist.  Später, bei weiterem Anlass in Fribourg recherchierten wir die Symbolik und Ikonographie des Schlangenwesens. 

Vor dem eindrucksvollen Hintergrund der mit dem über Nacht gefallenen Schnee bedeckten Berge wurde auch die zweite der im Park vorhandenen Nanas von Saint Phalle einer eingehenden Betrachtung unterzogen. Die "Nana Mosaique Noire" (1999), deren ganzer Körper mit Mosaiksteinchen überzogen ist, bewegt sich zwar nicht in luftiger Höhe, doch auch ihre typisch ausladende Gestalt auf einem niedrigen Sockel vermittelt einen dynamisch-leichtfüßigen Eindruck [Abb. 5]. Wir verglichen die verschiedenen freudvollen Frauenfiguren hinsichtlich ihrer Textur und Oberflächengestaltung. Farbgebung und Spiegelungen kommunizieren in je spezifischer Weise mit der Umgebung.

Aufgrund der eher frostigen Temperaturen begaben wir uns nach eingehender Diskussion der Arbeiten im Freien ins Gebäude des Kulturforum Würth. Dort war im Foyer eine Ausstellung von Horst Antes zu besichtigen, die einen guten Überblick über die Entwicklung des Künstlers von den Kopffüßlern bis hin zu dessen Substituten (Haus, T-shirt etc.) bot. Alle sollten sich in kleinen Grüppchen umschauen, ein Werk heraussuchen und vorstellen.

Um die Mittagszeit begaben wir uns wieder in die Altstadt, durch den Bahnhof hindurch, wo wir im Tourismusbüro den Schlüssel für eine archäologische Stätte entgegen-nahmen, die der Architekt und ehemalige Denkmalpfleger am Denkmalamt seines Wohnkantons Graubünden, Peter Zumthor, mit einer offenen Holzarchitektur überbaut hatte. Als wir zu den "Schutzbauten Welschdörfli" (1986) kamen, trafen wir zufällig den Bau- und Bodenforscher Mathias Seifert vom Archäologischen Dienst Graubünden. Er erklärte sich spontan bereit, uns etwas über den Ort zu erzählen und wir erfuhren Details über die Römer-siedlung, typische Gefäße und Merkurdarstellungen. Das Gebäude, dessen Gemäuer noch zu sehen sind, war größer als ein normales Wohnhaus und hatte freskierte Wände. Diese rekuperierten Archäolog*innen in einem mutigen Verfahren. Vor Ort sind daher noch Relikte zu sehen.

Es blieb dann gerade noch genug Zeit, um auf dem Weg zum Bahnhof die Koffer beim Hotel abzuholen und weiterzuziehen. Da wir unsere Reisebuchungen bei der SBB zu spät getätigt hatten, waren unsere Sitzplatzreservierungen fürsorglich auf den Fensterscheiben des Wagons weithin sichtbar angebracht. Die Zugreisen wurden nun sukzessive länger. Wir kamen in unserer nächsten Destination in Fribourg nach gut zweieinhalb Stunden gegen 20 Uhr an. Auch hier war unser Hotel Alpha Fribourg in der Rue du Simplon 13 fußläufig in zehn Minuten zu erreichen.

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30. April 2019

Um 9.30 Uhr war für Dienstag, 30. April, der Treffpunkt vereinbart. Das erste Ziel lag nur sieben Minuten entfernt am Grand-Places/Schützenmatte, am Eingang zur Altstadt. Der "Jo Siffert Brunnen" wurde uns von Frau Ullmann und Frau Küpfer nahegebracht. Zwar war der Brunnen erst kürzlich restauriert worden, gab aber dennoch Anlass zu Spekulationen, ob seine Funktion vielleicht nicht doch durch einen zu schwachen Wasserdruck beeinträchtigt wurde, da manche der Düsen nicht den erwartbaren Sprühregen erbrachten. Dennoch war auch an diesem Brunnen eine Vielfalt an Umgang mit Wasser zu beobachten, das trotz eines ausladenden runden Beckens bei leichtem Windgang hin und wieder auch die umliegende Sitzbank benetzte. 

Direkt im Stadtzentrum befindet sich in der Murtengasse 2 der Espace Jean Tinguely – Niki de Saint Phalle. Das Gebäude ist ein altes Stellwerk für die Stadtbahn, was man insbesondere an den Schienen im Vorplatz und den parallelen Rundbögen an der Fassade des Hauses noch nachvollziehen kann. Wider Erwarten befand sich auf diesem Vorplatz nicht die erhoffte Skulptur von Luginbühl. Wir waren etwas zu früh dran, weswegen wir uns zum nahegelegenen Museum für Kunst und Geschichte Freiburg begaben. Dort fanden wir prompt den gesuchten "Kardinal", mit den nunmehr bekannten Merkmalen wie Ketten oder dem als Signatur angebrachten Schraubenschlüssel. Im gepflegten terrassierten Garten samt kleinem Heckenlabyrinth befinden sich noch weitere Werke verstreut. An prominenter Stelle figuriert eine hochaufragende Figurenkonstellation von Saint Phalle. Auf einem grünen Sockel, getrennt durch ein blaues Bächlein sitzen ein Wolf (wir dachten an eine Schildkröte) und ein Hund, die gemeinsam einen roten Krebs oder Hummer stützen, dessen Scheren wiederum ein silberblaues Mondgesicht emporheben [Abb. 6]. Frau Proß fand mit ihrem Hinweis auf Tarotkarten den Schlüssel für das Werk "Der Mond". Wolf und Hund jaulen dem Mond entgegen und repräsentieren die wilde und die gezähmte Seite und stehen für Ängste. Das Krebstier ist das aus dem wässrigen Unterbewussten entstiegene Bewusstsein. Die Figur steht für Intelligenz, Illusionen, Stagnation und Imagination.

Wieder zurück beim Espace erhielten wir einen exklusiven Eintritt und durften die Ausstellungsstücke trotz Umbauarbeiten betrachten. Frau Partem brachte uns die Grundgedanken des Spätwerks "Retable de l'Abondance occidentale et du Mercantilisme totalitaire" (1990) näher, einer zentralen Arbeit, welche viele Elemente des Konsums, Spielzeug, Souvenirs verarbeitet hat. Zudem fiel uns hier auf, dass etliche der dortigen Arbeiten Tinguelys auch Baumwurzeln eingebaut hatten.

Frau Weinert erläuterte noch kurz das Prinzip der Schießbilder an der "Kleinen Kathedrale" (1962) von Saint Phalle. An den zwei seitlichen weißen Türmen waren offensichtlich Beutel mit schwarzer Farbe integriert, die nach gezieltem Beschuss ihrem Inhalt freien Lauf ließen.

Außer uns befanden sich noch vier Personen im Ausstellungsbereich, die einen sehr intimen Umgang mit den Exponaten pflegten, sie anfassten und fachkundig kommentierten. Da erkannten wir Seppi Imhof, den früheren Assistenten des Künstlers. Er erklärte sich kurzentschlossen bereit, nach dem Mittagessen unseren Fragen Rede und Antwort zu stehen.  Ein Teil der Gruppe stärkte sich in der Nähe auf der Terrasse, welche vom Lokalkünstler auch Kapital zu schlagen wusste. Zurück im Espace bestätigte Herr Imhof, wie schon Herr Gaillard, dass die Gemeinschaft um den Künstler eine besondere Dynamik und Versorgungslogik hatte. Dies beinhaltete intensive Arbeitsperioden, Solidarität bei klarer Hierarchie, sowie weite, abenteuerliche Reisen durch Europa, um beispielsweise ein bestimmtes Teil in den vielen Lagern aufzusuchen, und dass für manche gemeinsamen Aufenthalte das Abfüllen von Weinflaschen zu einem besonderen Ritual geriet. Zudem betonte er, dass die Ausstellungshäuser damals verstanden hatten, dass es günstig war, Einladungen dann auszusprechen, wenn ein Formel 1 Rennen vor Ort ausgetragen wurde. So konnte man Tinguely immer ködern. Und die ganze Truppe war dabei und pflegte mit den Rennwagenfirmen ein freundschaftliches Verhältnis. Auf die Frage, wie sich seiner Meinung nach die Rennen von heute auf damals verändert haben, meinte Imhof, dass die Rennfahrer damals in den 1960-1980er Jahren wirklich an ihre Grenzen und die Grenzen ihrer Maschinen gingen (und diese gelegentlich überschritten). Heute sei das alles viel abgesicherter und damit auch nicht mehr genauso spannend. Beflügelt durch das angeregte Gespräch, begaben wir uns nun ins benachbarte Museum, ein ehemaliges prächtiges Privathaus, welches über vier Stockwerke mehrere Jahrhunderte an Kultur- und Kunstproduktion präsentierte. Auch befanden sich dort noch zwei Arbeiten von Tinguely, "Le Cheval Falada" (1990) und das "Retable des petites bêtes" (1989), eine überraschend filigrane Arbeit vor offengelegtem Mauerwerk, bei der man die Rolle des Rades beim Bewegen der Flügel deutlich erkennt. Alle waren angehalten das Museum noch in Eigenregie zu explorieren. Neben lokalen, aber hochwertigen Flügelaltären fanden sich noch interessante Unikate wie etwa eine eiserne bewegliche Hand, eine variable Mitgliederliste der Lukas-Gilde, Lotterietrommeln aus dem 19. Jahrhundert, sowie die prächtig geschmückte Reliquie des Heiligen Felix (1755) oder die über einen langen, mit Butzengläsern versehenen Gang erreichbare antiquierte Toilette. Diese wies einen beträchtlichen Komfort auf.

Ab 18 Uhr war es allen freigestellt, den Abend nach Belieben zu gestalten. Manche begaben sich nochmals in den Skulpturenpark, andere genossen den sonnigen Ausblick auf dem hoch über der Altstadt von Fribourg gelegenen Balkon des Cafe Le Belvédère.

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Die Gruppe bespricht Niki de Saint Phalles "Der Mond" im Skulpturengarten vor dem Museum für Kunst und Geschichte Freiburg.

1. Mai 2019

Klettertrainingseinheit in Noisy-sur-École.

Tags darauf, am Mittwoch 1. Mai war es geboten, früh vom Hotel aufzubrechen, um den Zug um 7.56 Uhr nach Maisse zu erwischen. Dafür war in Genf, Paris und Juvisy umzusteigen. Maisse ist die Ortschaft mit dem Bahnhof, der der im Wald versteckten Arbeit "Le Cyclop" am nächsten liegt. Dieser Wald gehört zur Gemeinde Milly-la-Forêt. Unsere Unterkunft befand sich südlich davon in Noisy-sur-École. Da vor Ort die öffentlichen Verkehrsmittel nur auf den Schulbetrieb ausgerichtet sind, stand für uns am Bahnhof bereits eine Flotte von Taxis bereit. Sie brachten uns zu Les Bulles du Rocher de Fontainebleau, einer Art Erlebnispark mit hochgehängten runden, durchsichtigen Zelten als Übernachtungsmöglichkeit. Passend zum "Cylcop", der auch über 20 Meter im Wald aufragt und eine Höhenansicht bietet, war dies eine gute Einstimmung. Dafür mussten wir beim Besitzer des Parks, Stéphane Durocher, der uns mit einem Ausschank empfing und die Gruppe mit Spielen bedachte, aber ein basales Klettertraining absolvieren. Dafür bekam jede*r einen Rucksack mit Nützlichem, wie einer Lichtquelle (jenseits der Stirnlampe), einer Wasserflasche etc. Einige waren mit der Ausrüstung samt Verschlusskarabinern und Abseilgeräten vertraut, andere nicht [Abb. 7]. Der Parcours war abwechslungsreich und führte kreuz und quer zwischen den Zelten und Ästen hindurch. Die Schlafzelte lagen in bis zu 15 Metern Höhe und waren teils nur über eine Kletterwand zu erreichen.

Der Abend der Ankunft war mild und trocken. Wir wurden mit weiteren Gästen in ein Ballspiel involviert, bei dem die gelbe Mannschaft gewann, und die Mannschaften blau und orange zum Triumph der Fotograf*innen Kniebeugen absolvieren mussten. Der Abend klang bei einem gemeinsamen Abendessen in der Unterkunft aus.

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2. Mai 2019

Tags darauf, am Donnerstag, 2. Mai, trug der Himmel schwere Regenwolken. Da "Le Cyclop" nur am Wochenende geöffnet hat, nutzten wir die Attraktionen vor Ort. Ein Mitarbeiter des Erlebnisparks, Guilherme, chauffierte uns als Gruppe mit einem Kleinbus wohin wir wollten. Zunächst peilten wir das nahegelegene, im wahrsten Sinne "malerische" Dörfchen Barbizon an. Entlang der Hauptstraße, für die man bemüht war, ein Flair des 19. Jahrhunderts aufrecht zu erhalten, fädelten sich Galerien und Museen auf. Die Maison Rousseau war leider geschlossen, aber dafür erhielten wir in der Maison Millet, dem ehemaligen Atelier des Künstlers, Einlass. Dort konnten wir drei dicht gefüllte Räume betrachten und lasen uns gegenseitig die Informationen aus einem Faltblatt vor [Abb. 8]. Während die Paletten des Künstlers hinter Glas gerahmt waren, fanden wir viele Originale relativ ungeschützt vor. Nach dieser Einkehr spazierten wir bei leichtem Regen nach Osten, in den Wald hinein, denn es gab dort einen "Künstlerweg" verzeichnet, der an Orte führte, wo die Künstlerkolonie sich auch hinbegeben hatte, um ihre Skizzen anzufertigen. In der Nähe des berühmten Elefantensteines stärkten wir uns mit dem Jausenbrot, das wir von Herrn Durocher mitbekommen haben. Wir kamen etwas vom vorgesehenen Weg ab und schlugen uns durch die Büsche, letztlich aber fanden wir zurück und riefen Guilherme an, damit er uns zu unserem nächsten Ziel, dem Schloss Fontainebleau bringt. Aufgrund des nass-kalten Wetters waren wir froh, nun die Zeit in Innenräumen zu verbringen. Und welche prächtigen Innenräume! Wir konnten die Genealogie der Bonapartes studieren, prächtige Services betrachten, überladene Schlafräume inspizieren und die verschiedenen Wellen der Schule von Fontainebleau identifizieren. Auch hier hielten wir es so, dass jede*r selbst den Durchgang wählen konnte, bis wir nach Schließung des Schlosses um 17 Uhr wieder in den Park mit unseren fliegenden Schlafkugeln zurückgebracht wurden. Dieser Tag beförderte für uns inhaltlich einen Kontrast zutage: die für den Adel und der Huldigung der Reichen engagierten Kunstschaffenden einerseits und die sich davon absetzenden und der Realität der Bauernwelt zugewandten Kunstschaffenden in Barbizon andererseits. Die Nacht wurde kalt und selbst in Zelten, die mit drei Personen belegt waren, kroch die Kälte durch die Matratze, bei gleichzeitigem Tropfen aufgrund der Kondensation. Manche wussten sich damit zu behelfen, dass sie das Häuschen aufsuchten, das man einheizen konnte und in dem wir unser ganzes Gepäck belassen durften.

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Das Haus Millet war überfüllt von Abgüssen, Gemälden, Stichen, Skizzen, Fotografien und einer Tafel mit Künstlerkollegen.

3. Mai 2019

Vor der 20 Meter hohen Kulturstation „Le Cyclop“ in Milly-la-Forêt.

Beim Frühstück aber gab es wieder lachende Gesichter. Dieser Freitag, 3. Mai war schon der Heimreise gewidmet, er beinhaltete aber noch zwei wichtige Stationen. Zunächst "Le Cyclop" [Abb. 9]. Guilherme brachte uns zum Eingang, von wo noch ein Stück Weg zu Fuß zurückzulegen war. Extra wurde für uns eine charmante Führung organisiert, weil wir vor der regulären Öffnungszeit eingetroffen waren. Wir hatten noch Gelegenheit, das abgezäunte Gelände zu umqueren und sahen, wie Personen die gebäudeartige Plastik renovierten bzw. austesteten, die Riemen anlegten, und im hinteren Bereich wurden Balken bearbeitet. Melvin Pietschmann, der sich vorbereitend die umfangreichen Kollaborationen bzw. Kulturstationen vorgenommen hatte, stellte diese Arbeit vor. Uns begrüßten die Organisator*innen François Taillade und Fleur Colombini. Mit Mathilde Bonniec durften wir uns durch das ganze Gebilde hindurcharbeiten, das ganz ohne Architekt*innen oder Statiker*innen gebaut worden war. Auf der Höhe des Ohres, vorbei an einer Klangmaschine, deren Getöse hier nun völlig immersiv zum Tragen kam, rollten Kugeln in geschlungenen Bahnen auf Kopfeshöhe. Eine Etage darüber, auf der Höhe des Auges, gab es ein kleines absurdes Theater mit beweglichen Stühlen jeglicher Couleur, sowie Einblick in eine gekippte Kammer von Daniel Spoerri. Insgesamt beherbergte die Konfiguration viele Kunstwerke aus dem Kreise einer eingeschworenen befreundeten Gemeinschaft. Arman hatte einen übriggebliebenen Metallrest in Form gepresst und ein Entlüftungsrohr, das man vom Centre Pompidou geklaut hatte, wurde weiß gestrichen und so montiert, dass die Biegung nach unten zeigt. Der darin aufgehängte glänzende Totenkopf von Niki de Saint Phalle verweist auf die Möglichkeit, sich durch diese Konstruktion das Leben zu nehmen. Ein düsteres Kapitel der Menschheitsgeschichte nahm die Arbeit von Eva Aeppli auf, die einen ganzen Zugwagon in die Höhe manövrieren ließ und dort an den Abtransport der Juden im Holocaust gedachte. Das Thema eines möglichen Dritten Weltkriegs schwang bei dieser jahrelangen kollektiven Unternehmung durchaus mit. Nach diesem eindrucksvollen Erlebnis einer verdichteten Kulturstation, chauffierte uns Guilherme zum Zug [Abb. 10].

Der Regionalzug brachte uns nach Paris Gare du Nord, von wo aus wir eine kurze Strecke zu Fuß zum Gare de l'Est nahmen, an dem ein Großteil der Gruppe das Gepäck abermals in Schließfächern verstaute, um noch ein wenig Zeit in Paris zu verbringen. Eine kurze U-Bahn-Fahrt führte zur Haltestelle "Chátelet – Les Halles", von der aus man nah an die beschädigte Notre Dame gelangen konnte und zur letzten Station der Exkursion, nämlich dem Stravinsky-Brunnen am Centre Pompidou. Sowohl der Verantwortliche von "Le Cyclop", als auch die beiden Mitarbeiter von Tinguely, die wir treffen konnten, waren wenig begeistert vom Zustand des Brunnens, der von der Stadt Paris betreut wird. Er sei verwahrlost, verschmutzt und nicht hinreichend gewartet, war die einhellige Meinung. Auffällige Verschmutzung zumindest war bei unserer Ankunft nicht gegeben, jedoch bewegten sich neben einigen Wasserläufen die Figuren nicht mehr und gelangten somit nicht zu ihrem vollen und intendierten Ausdruck.

Die Exkursionsteilnehmer*innen konnten sich entscheiden, ob sie noch das Wochenende in Paris verbringen oder gegen 18 Uhr den TGV zurück nach Karlsruhe besteigen wollten.

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