Prof. Dr. Ulrich Schneider

Wissenschaftlicher Mitarbeiter/Kurator
 

 

Interview

 

Sie hatten im Laufe der Jahre viele verschiedene Aufgabenbereiche im Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte in Schleswig übernommen, wobei aber die Bezeichnung des ‘wissenschaftlichen Angestellten’ immer gleichblieb. Was genau kann man sich darunter vorstellen und was gehört zu Ihrem Tätigkeitsfeld?
“Wissenschaftlicher Angestellter” klingt ja zunächst einmal recht langweilig. Im Grunde ist man für alle wissenschaftlichen Belange in einem Bereich, den man vertritt, zuständig. In meinem Fall wäre dies das Kunsthandwerk, welches das 12. bis 21. Jahrhundert ‒ also einen riesiges Gebiet – umfasst, Globushaus und Neuwerkgarten. Die Weiterentwicklung der Sammlung oder das Konzipieren von Dauer- und Wechselausstellungen gehören beispielsweise zu meinen Aufgaben. Als WissenschaftlerIn ist man also im Wesentlichen für das Inhaltliche im Museum verantwortlich.

Wie hängt diese Weiterentwicklung der Sammlung mit Ihrer kuratorischen Tätigkeit zusammen? Dürfen Sie im Rahmen einer Ausstellung einfach einkaufen gehen?
 Einkaufen würden wir gerne viel häufiger, als wir können. Es ist aber nicht einmal die Geldfrage an der es scheitert. Vielmehr ist der verfügbare Platz der limitierende Faktor. Unsere Depotsituation ist extrem angespannt. Museumsfläche ist ja immer begrenzt: Wenn etwas Neues kommt, müsste etwas Altes raus. Was aber erst mal in eine Sammlung aufgenommen ist, verbleibt dort, deshalb sind die Depots randvoll! Wenn man dennoch Ankäufe vorsieht, sind die Sammlungsüberlegungen, die dazu führen sehr langfristige. Momentan plane ich die Ausstattung des Barockgartens. Da brauche ich gerne mal ein Jahre, bis geeignete Skulpturen gefunden sind. Das Durchstöbern von Online-Portalen zu aktuellen BildhauerInnen ist sehr zeitraubend und findet meistens in der Freizeit statt, macht aber sehr viel Spaß und man lernt dabei viel. Wir werden aber auch von Kunstschaffenden, etwa von KeramikerInnen kontaktiert, die in die Sammlung wollen und dafür dem Museum Werke als Geschenke anbieten. Und da stellen wir uns als Institution die Frage: Was wollen wir und was nicht? Etwa 90% lehne ich ab, weil das unsere Sammlung nicht weiterbringt. Um in die Sammlung des Landesmuseums aufgenommen zu werden, ist ein Bezug zu Schleswig-Holstein hilfreich, aber nicht immer erforderlich.

 Es gibt viele kreative und schöne Seiten an der Museumsarbeit, welche KuratorInnen Handlungsfreiheit ermöglichen. Da darf man auch mal ganz verrückt denken und Neues ausprobieren...
 Ich glaube den Mut muss man einfach haben, auch mal die ausgetretenen Pfade zu verlassen. Und das können Sie auch, wenn Sie im Museum arbeiten. Das ist das Salz in der Suppe, was Spaß macht! Seit Jahren führen wir zum Beispiel in der Dauerausstellung Interventionen durch, Exponate werden in unerwarteten Zusammenhängen eingestellt, sodass sie die BesucherInnen unverhofft mit neuen Fragestellungen konfrontiert werden. Sie stoßen zuweilen vor den Kopf, generieren aber Fragen. Die BesucherInnen sollen sich Gedanken über das Gesehene machen. Sie sollen nicht nur reingehen, die Beschriftung lesen, die neben einem Gemälde hängt und dieses selbst nur flüchtig betrachten. Aber wie Sie es beschrieben haben, experimentieren darf man im Museum und das ist eigentlich auch ein sehr schöner Teil der Arbeit.


Wie haben Sie nach Ihrem Studium den Einstieg ins Berufsleben geschafft? Mussten Sie vielleicht auch Umwege gehen, um zu Ihrem Ziel zu gelangen?
Bevor ich ins Museum kam, spielte sich mein Berufsweg eigentlich völlig museumsunspezifisch ab. Ich habe nie ein Praktikum gemacht, was sich bei der Stellensuche als Riesenproblem herausstellte! Ich hatte während des Studiums immer Hiwi-Stellen angenommen. Danach war ich als ‘wissenschaftlicher Angestellter’ an einem DFG Projekt im Bereich Architektur tätig und wollte dann im Museum arbeiten. So kam es, dass ich trotz persönlicher Kontakte zur Kunsthalle Karlsruhe nicht als Volontär eingestellt wurde, weil sie jemanden mit ersten Museumserfahrung suchten. Am Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte der Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloss Gottorf bin ich über die 'Hintertür', die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit reingekommen. Aber schon nach drei Monaten in Schleswig, wurde mir zusätzlich die wissenschaftliche Betreuung der Rekonstruktion des barocken Neuwerkgartens und des Gottorfer Globus sowie der Bau des Globusmuseums übertragen. Wenn man die Pressearbeit macht und so ein Projekt wie die Rekonstruktion übertragen bekommt, erhält man die Chance zu zeigen, dass man methodisch in der Lage ist, nahezu jedes Thema zu bewältigen. Die Übernahme einer KuratorInnenstelle, etwa für das Kunsthandwerk, war nach Abschluss der Rekonstruktion von Globus und Garten eigentlich nur konsequent. Der Schritt von der reinen Presse- und Öffentlichkeitsarbeit hin zum kunsthistorischen, kuratorischen Arbeiten war relativ schnell vollzogen.

Wie genau klappt dieses Abgeben der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, sodass man doch ins Kuratorische gehen kann? Gibt es da eine Strategie oder hat man da gar nichts selber in der Hand?
Doch, man hat das in Grenzen auch selbst in der Hand. Wenn Sie PressesprecherIn sind, erhalten Sie die Möglichkeit, immer wieder zu den unterschiedlichsten Themen und Gelegenheiten zu sprechen. Museumsarbeit hat viel mit Reden zu tun und wenn Sie PressesprecherIn sind, haben Sie immer das erste und das letzte Wort. Und damit können Sie sich natürlich auch, wenn Sie kunstgeschichtlich versiert sind, immer wieder ins Gedächtnis bringen. Das war mein Weg. Zugute kam mir sicherlich, dass ich im Deutschunterricht einen Dramaturgen als Lehrer hatte. Er hat mit uns Theater gespielt und dadurch Bühnenkompetenz vermittelt. Er hat mir beigebracht, ungehemmt vor Publikum reden zu können. Als Pressesprecher der Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen hat mir das sehr geholfen. Diese Kompetenz der inhaltlich versierten freien Rede bleibt natürlich nicht verborgen.

Sie waren ja nicht nur für die Rekonstruktion des Gottorfer Globus verantwortlich, sondern auch für die Rekonstruktion des dazugehörigen Barockgartens, was eine eher untypische Museumsarbeit ist. War das auch für Sie ein völlig neues Gebiet? Wie sind Sie an dieses Projekt herangegangen?
Beim Garten stellte sich die Recherche als extrem schwierig heraus. Zeit war keine vorhanden. Es stand uns eigentlich nur eine Quelle zur Verfügung, nämlich eine Grafik, die den Garten auf dem Höhepunkt seiner Prachtentfalltung zeigt, den es allerdings so wahrscheinlich nie gegeben hat. Sie bildete dennoch die Grundlage für die Umsetzung. Vor allem aufgrund der Topographie ergaben sich sehr früh Probleme. Die archäologische Denkmalpflege forderte, dass wir das Areal erkunden und eine archäologische Prospektion des Terrains vornehmen. Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt, die zu unserem Glück das Millionen-Euro-Projekt maßgeblich mitfinanziert hat, verlangte, dass wir uns um die historische Pflanzenausstattung des Gartens kümmern. So kamen wir von der Rekonstruktion eines formalen Gartens plötzlich in den Bereich der Biologie, in dem ich bis heute 'schwimme'. Sie merken, bei solchen Aufgaben kommen plötzlich ganz neue Aspekte dazu, ganz unterschiedliche Themen. Wenn ich all die dafür notwendigen Qualifikationen hätte mitbringen sollen, wäre ich wahrscheinlich mit 80 Jahren in das Thema eingestiegen. Denn all das, was da so zusammenkommt, das schaffen Sie einfach nicht. Beim learning by doing ist das selektive Vorgehen entscheidend. Welches Wissen muss ich mir aneignen? Wo kann ich mich auf andere verlassen? Im botanischen Bereich habe ich dafür Kontakte zum Botanischen Garten der Universität Kiel geknüpft. Da sitzen die Fachleute, daher war es für mich nicht notwendig in diesem Bereich alles zu wissen. Und das war wunderbar.

Das “Hineingeworfen werden” in unbekannte Gebiete ist für frisch gebackene AbsolventInnen, die am Anfang ihrer beruflichen Laufbahn stehen, zwar in der Regel normal, kann aber auch beängstigend sein. Wie geht man am besten in so eine Situation hinein, ohne Vorwissen zu haben? Bekommt man Zeit, um sich erst einmal in das Gebiet einzuarbeiten?
Ich würde Ihnen dazu raten, sich die Zeit zu nehmen, die Zeit einzufordern. Ich halte es für unwahrscheinlich, dass Sie nach Ihrem Studienabschluss eine Stelle finden werden, die auf das, was Sie sich im Studium erarbeitet haben, zugeschnitten ist. Das war auch bei mir ein Sprung ins kalte Wasser. Es ist vorteilhaft, aber nicht zwingend nötig, inhaltlich alles mitzubringen. Man sollte sich in das Thema einarbeiten können, methodische Kompetenz, also das prinzipielle know-how, wie man ein Projekt angehen kann, mitbringen. Das heißt, auch wenn man vor einer neuen Aufgabe steht, benötigt man das Wissen, wie man es grundsätzlich angehen kann. Man muss seine “Werkzeuge” beherrschen, dann kann man sehr viele Themen auf einem hohen inhaltlichen Niveau abarbeiten. Das ist eigentlich das Geheimnis ‒ die Schlüsselqualifikation.

Neben Ihrer Arbeit als wissenschaftlicher Angestellter haben Sie auch noch einen Lehrauftrag an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.* Was sollen die Studierenden aus Ihren Veranstaltungen mitnehmen und was ist Ihrer Meinung nach für angehende KunsthistorikerInnen essentiell?
In den Veranstaltungen geht es teilweise um praktische Tätigkeiten im Museum. Also um die Frage, wie „funktioniert“ Museum? Daneben lege ich großen Wert darauf, die Studierenden an das Thema "Sehen“ heranzuführen. Sprache, die verbale Umsetzung des Gesehenen, ist unser Hauptwerkzeug und damit müssen wir souverän umgehen können. Wir müssen auch vor Dingen, die wir nicht kennen, sprechfähig sein. Das ist ein Teil der Museumsarbeit, den ich den Studierenden in diesen Übungen näherbringen möchte und der für sie eine Herausforderung darstellt, aber auch Spaß macht. Ich biete Übungen vor Originalen im Museum in Schleswig an. Daneben gibt es Veranstaltungen in denen erarbeitet wird, wie etwa Ausstellungen kuratiert werden: von der ersten Idee, deren Weiterentwicklung, bis zur Umsetzung. Keine Aspekt einer Ausstellung bleibt dem Zufall überlassen. Viele Studierende sind erstaunt, was dazu gehören kann. Zum Beispiel entwerfe ich für jede Ausstellung ein Innendesign. Das heißt, die RestauratorInnen bekommen von mir fertige, bemaßte Wandabwicklungen. Jede Wand wird am Rechner vorgeplant. Ich will vorher wissen, wie die Dinge miteinander interagieren, welche Blickbeziehungen es im Raum gibt und das geht nur auf diesem Weg. Beim Gottorfer Codex beispielsweise, hatten wir in unsere Reithalle, eine Ausstellunghalle von fast 600qm Größe, gut 200 Grafiken in fünf Etagen in einem bestimmten Rhythmus entlang einer Wand gehängt. Für diese Hängung wurde ein spezielle Vorrichtung gebaut, damit die Bohrungen für die Aufhängung der Grafiken selbst in fünf Metern Höhe über die gesamte Länge der Halle, fast 40 Meter, exakt stimmen. Auch so etwas muss eben geplant sein. Bei diesen praktischen Themen sind Studierende immer wieder erstaunt zu sehen, dass sich das Kuratieren nicht nur auf wissenschaftliches Recherchieren, Ausstellung konzipieren, Katalog schreiben und Texte redigieren erstreckt, sondern dass Kuratieren auch bedeuten kann, dass man mit entsprechender Software umgehen können muss, oder für technische Probleme praktikable Lösungen mitentwickeln muss. Ganz wichtig ist natürlich, dass man teamfähig ist, denn bei Ausstellungen arbeiten für eine kurze Zeit sehr viele KollegInnen intensiv zusammen.

Welche Tipps würden Sie Ihren Studierenden oder auch uns geben, für einen guten Start ins Berufsleben? Welche Chancen können und sollten wir unbedingt nutzen?
Machen Sie Praktika, wenn es irgendwie geht. Aber Sie sollten dafür auch schon gewisse Dinge mitbringen. Es gibt Kurzzeitpraktika, bei denen man hineinschnuppern kann, und sieht wie alles läuft. Bei PraktikantInnen im Masterstudiengang reicht ein "über die Schulter gucken", wo immer nur begrenzt Einblicke gegeben werden können, nicht aus. Ihnen kann man auch kleine Projekte übertragen, die sie eigenständig bearbeiten. Wenn man als PraktikantIn selbst Verantwortung übernehmen muss und kann, bringt es allen Beteiligten richtig viel. Das sollten Sie auf jeden Fall versuchen! Sie erhalten bei Praktika wahrscheinlich oft Ablehnungen, weil Praktikumsbetreuung für die Institutionen immer einen gewissen Arbeitsaufwand bedeutet. Aber scheuen Sie sich nicht, immer wieder nachzufragen und diese Möglichkeiten wahrzunehmen. Denn mehr Möglichkeiten, um die unterschiedlichen Aspekte der musealen Tätigkeit und auch der methodischen Zugänge kennenzulernen, werden Sie nicht bekommen.

Das Interview wurde am 21. Dezember 2020 geführt und von Saskia Baude bearbeitet.


Lisa Bergmann

Beate Fricke

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